„BAGen haben eine Chance, wenn sie die Kosten im Blick behalten“

Die ambulante radiologische Versorgung befindet sich im Umbruch. Freiberufliche Praxen werden weniger, MVZ nehmen zu. Nicht nur Kliniken, sondern auch private Kapitalgesellschaften haben den Markt für sich entdeckt und investieren in MVZ. Wie wird sich die Zukunft des niedergelassenen Radiologen vor diesem Hintergrund gestalten? Eine Frage, mit der Prof. Dr. med. Jörn Sandstede, Facharzt für Radiologie in der Radiologischen Allianz Hamburg und stellvertretendes Mitglied der Vertreterversammlung der KV Hamburg, sich beschäftigt. Er sprach dazu mit Ursula Katthöfer ( textwiese.com ).

Redaktion: Wie schätzen Sie aktuell den Wettbewerb zwischen freiberuflichen BAGen und investorgeführten MVZ ein? Wer hat Ihrer Ansicht nach die Nase vorn?

Prof. Sandstede: In der Versorgungswirklichkeit sind die Freiberufler noch ganz vorne. Beim organischen Wachstum sowie der Konsolidierung sind sie ebenfalls noch gut im Rennen – auch wenn für Praxisübernahmen inzwischen enorme Summen im Spiel sind. Externe Kapitalgeber sind jedoch in Regionen, in denen Praxen nicht in der Nähe eines größeren Verbunds liegen, recht erfolgreich.

Redaktion: Könnte dahinter das Konzept stecken, den Markt aus der Fläche in die Städte zu erobern?

Prof. Sandstede: Das Konzept der Investoren habe ich noch nicht ganz verstanden. Es scheint mir derzeit weniger eine Strategie der Konsolidierung hinter den Investitionen zu stecken. Vielmehr wird punktuell das erworben, was man erwerben kann, wohl mit dem einzigen Ziel, das Gesamtpaket zu einem höheren Preis zu verkaufen als die Summe der Einzelpreise.

Redaktion: Zurzeit sind von etwa 2.500 MVZ in Deutschland 420 in Händen von Private-Equity-Gesellschaften, darunter viele radiologische Praxen. Haben Sie einen Überblick, wie die Zusammenarbeit von Ärzten und Privatinvestoren funktioniert?

Prof. Sandstede: Bisher stellen wir keine bemerkenswerten Veränderungen fest. Es ist noch zu früh, um die Auswirkungen eines Turnarounds zu beobachten, d. h. das Ausscheiden der Altinhaber, verbunden mit dem Wechsel zu primär angestellten Ärzten. Denn wir stehen hier noch am Anfang eines Prozesses, der einige Jahre dauern wird.

Redaktion: Welche Entwicklung zeichnet sich ab?

Prof. Sandstede: Wenn eine Kapitalgesellschaft eine Praxis übernimmt, hat sie zunächst das Ziel, die Fachärzte zu halten. Außerdem müssen Altinhaber laut Bundessozialgericht noch mindestens drei Jahre lang tätig sein, um ihre KV-Zulassungen rechtssicher zu übertragen. Im ersten Jahr müssen sie ihre Tätigkeit zu 100 Prozent, im zweiten Jahr zu mindestens 75 Prozent und im dritten Jahr zu mindestens 50 Prozent ausüben. Das ist anders als früher, als Inhaber ihre Praxis verkauften und mit Unterzeichnung des Kaufvertrags in den Ruhestand eintraten. Würden sie heutzutage vor Ablauf der drei Jahre ausscheiden, wäre die KV dazu verpflichtet, den Versorgungsgrad zu überprüfen. Wenn allerdings nach dieser Frist in einem MVZ ärztliche Neubesetzungen vorgenommen werden, wird sich etwas ändern.

Redaktion: Welche Auswirkungen hat das private Engagement auf die Qualität der Versorgung?

Prof. Sandstede: Ich sehe die Gefahr, dass Investoren sich auf die lukrativen Leistungen, die schnell und einfach zu erbringen sind, konzentrieren. Der freiberuflich tätige Arzt macht gern eine Mischkalkulation auf. Er bietet die lukrativen, aber auch die weniger gut vergüteten Leistungen an, wenn er diese medizinisch für notwendig hält. In der Summe kann er gut davon leben. Ein privater Investor agiert anders.

Redaktion: Auf welche Leistungen würden private Investoren verzichten?

Prof. Sandstede: Es gibt bereits Anbieter, die orthopädische und neurologische Fragestellungen bevorzugt bearbeiten. Bei onkologischen Fragestellungen hingegen, die einen höheren Untersuchungs- und Befundungsaufwand mit sich bringen, müssen die Patienten länger auf einen Termin warten. Zwei MRT Knie sind in der gleichen Zeit zu machen wie ein MRT Abdomen. Für beide Leistungen gibt es aber die gleiche Vergütung. Also wird das MRT Knie vorgezogen. Betriebswirtschaftlich betrachtet ist das eine logische Konsequenz aus dem System.

Redaktion: Würden Sie sogar von einem Ausverkauf der Versorgung sprechen?

Prof. Sandstede: Nein. Einen Ausverkauf hätten wir in dem Moment, in dem die zuweisenden Ärzte, also die Fachärzte, und dazu die Labore und möglicherweise noch die Klinik zu einer Kapitalgesellschaft gehören würden. Dann wäre die gesamte Wertschöpfung in einer Hand, die freie Arztwahl wäre ad acta gelegt. Von freiberuflicher ambulanter Versorgung ließe sich dann nicht mehr sprechen.

Redaktion: Was können BAGen diesem Trend entgegensetzen?

Prof. Sandstede: Wir müssen eigene Netzwerke bilden, sowohl regional als auch überregional. In der Region müssen wir uns interdisziplinär vernetzen und mit Kollegen anderer Fachrichtungen zusammenarbeiten. Deutschlandweit müssen wir Radiologen miteinander auf der kaufmännischen und strukturellen Ebene kooperieren, um den privaten Ketten auf der Kostenseite etwas entgegenzusetzen.

Redaktion: Wie sollten die KVen und der Gesetzgeber reagieren?

Prof. Sandstede: Ich bin nicht der Meinung, dass man noch stärker regulieren sollte, was ein MVZ darf und was nicht. Nur die Bevorzugung der MVZ sollte nicht weiter ausgebaut werden. Wenn eine BAG einen KV-Sitz an einen Nachfolger übertragen möchte, ist das mit viel bürokratischem Aufwand verbunden. Die Ausschreibung muss geprüft und zugelassen werden. Es folgt ein mehrstufiges Auswahlverfahren. Wenn ein Sitz hingegen einmal einem MVZ gehört, dann kann Arzt B eingestellt werden, wenn Arzt A aufhört. Das ist eine Ungleichbehandlung, die beendet werden sollte.

Redaktion: Radiologen, die selbst in eine Praxis investieren, gehen ein hohes finanzielles Risiko ein. Wie Erfolg versprechend ist die Praxis der Zukunft ohne einen Investor von außen?

Prof. Sandstede: Einzeln ist das Risiko sehr hoch. Doch in eine Gemeinschaftspraxis einzusteigen und zu investieren, ist derzeit noch gut möglich. Wie es in Zukunft sein wird, hängt davon ab, ob die Vergütungsregeln sich weiter verschlechtern. Bei den GKV-Leistungen gelten ja die technischen Fächer und insbesondere die Radiologen als Melkkühe für die nicht-technischen Fächer. Wenn das so weitergeht, sind radiologische Praxen bald nicht mehr refinanzierbar.

Redaktion: Angestellte Ärzte können in ihren Praxen Gesellschafteranteile übernehmen. Wie bewerten Sie dieses Modell?

Prof. Sandstede: Das gibt es sowohl in der BAG als auch im MVZ. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Es ist bei uns gelebtes Modell, dass junge Ärzte erst als Angestellte dabei sind und dann Anteile erwerben. Das ging im MVZ zunächst nicht. Ein angestellter Arzt konnte nicht Nachfolger eines MVZ-Inhabers werden, weil ihm die Freiberuflichkeit als Gründungseigenschaft fehlte. Doch das ist jetzt über das neue TSVG möglich.

Redaktion: Abschließend noch einmal zusammenfassend: Hat der niedergelassene Radiologe in Zukunft noch eine Chance?

Prof. Sandstede: Auf jeden Fall. Wir müssen die Herausforderung annehmen und uns auf unsere Stärke der freiberuflichen ärztlichen Leistungserbringung konzentrieren. Auf der anderen Seite müssen wir unsere Verwaltungsstrukturen professioneller aufstellen, um kaufmännisch und organisatorisch mit unseren Mitbewerbern besser mithalten zu können. Wenn wir die Kosten im Blick behalten, dann haben wir eine Chance.

Redaktion: Vielen Dank!

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