„Die Bedeutung der sektorenübergreifenden Vernetzung für die Radiologie wird steigen!“

Mit der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten Krankenhausreform sollen ambulante und stationäre Behandlungen enger vernetzt werden. Prof. Dr. Dr. med. Stephanie Tritt hat bereits Erfahrung mit der Vernetzung. Sie ist Chefärztin und Direktorin des Instituts für Radiologie und Neuroradiologie an den Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden und dort stellvertretende Ärztliche Direktorin. Sie führt zudem den Fachbereich Radiologie, Strahlenheilkunde und Nuklearmedizin von „Helios Ambulant“ und wurde kürzlich zum Medical Consultant der Helios Konzerngeschäftsführung ernannt. Neben dem Facharzt für Radiologie und dem Schwerpunkt Neuroradiologie hat sie einen Abschluss in Gesundheitsökonomie. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) sprach mit ihr.

Redaktion: Helios betreibt deutschlandweit 240 ambulante MVZ, Sie haben Ihren Sitz in einer Klinik in Wiesbaden und sind bundesweit für die Vernetzung der Radiologie, Nuklearmedizin und Strahlentherapie verantwortlich. Mit welchen wirtschaftlichen Zielen?

Prof. Tritt: Das ist zunächst ein strategisches Thema. Der Trend geht klar zur Ambulantisierung mit einer verstärkten Verlagerung von stationären Leistungen in ambulante Einrichtungen. Dies ist einerseits ein wesentlicher Teil der notwendigen Strukturveränderungen im Gesundheitswesen. Andererseits erlaubt der medizinische Fortschritt, dass immer mehr Untersuchungen und Behandlungen ohne stationären Aufenthalt durchgeführt werden können. Um diesem Wandel gerecht zu werden, legen wir bei Helios einen verstärkten Fokus sowohl auf die regionale Vernetzung und Schwerpunktbildung als auch auf die sektorenübergreifende Zusammenarbeit. „Überwindung von Sektorengrenzen“ ist in diesem Zusammenhang eines der Schlagworte. Das klingt vielleicht etwas abstrakt. Es geht uns darum, den Patienten die bestmögliche medizinische Versorgung anbieten zu können – unabhängig davon, ob die medizinische Leistung im ambulanten oder stationären Setting oder in einer Hybridform durchgeführt wird. Dazu stärken wir unsere ambulanten Strukturen um unsere Krankenhäuser herum und intensivieren die Zusammenarbeit von stationären und ambulanten Einrichtungen über die Sektorengrenzen hinweg. Das ist sowohl im Interesse einer patientenzentrierten Gesundheitsversorgung als auch aus unternehmerischer Sicht von großer Bedeutung.

Redaktion: Was bedeutet das für die Radiologie?

Prof. Tritt: Gerade in der Radiologie sind die standortübergreifende Zusammenarbeit und die sektorenübergreifende Vernetzung nicht völlig neu. Es besteht jedoch erhebliches Entwicklungspotenzial. Bereits heute werden große Teile der prästationären Diagnostik ambulant durchgeführt und auch poststationäre Untersuchungen finden wegen der kürzeren Verweildauer zunehmend außerhalb der Kliniken statt. Dieser Trend wird sich zweifellos dynamisch entwickeln. Für die Klinikradiologien bedeutet dies, dass sie ihre Ressourcen noch stärker auf die stationäre Diagnostik und die Notfalldiagnostik konzentrieren können, was die Versorgungsqualität bei schweren Fällen erhöht.

Redaktion: Wird die Krankenhausreform diese Entwicklung verstärken?

Prof. Tritt: Die Verlagerung radiologischer Untersuchungen und Dienstleistungen in den ambulanten Sektor betrifft nicht nur die prä- und poststationäre Diagnostik, sondern gewinnt auch in der interventionellen Radiologie an Bedeutung. Gleichzeitig sehen wir eine verstärkte Tendenz zu größeren radiologischen Organisationen und zum Auf- bzw. Ausbau standortübergreifender Netzwerke. Dies eröffnet die Möglichkeit zur Spezialisierung, d. h. zur Bildung von Kompetenzzentren, in denen Expertise gebündelt vorgehalten wird, etwa in den Bereichen neuroradiologische Diagnostik, urologische Diagnostik (z. B. Prostata-MRT) oder onkologische und gynäkologische Diagnostik (z. B. Mamma-MRT). Durch vernetzte Fachkompetenz und moderne Bildgebungstechnologie in solchen Zentren kann eine hochwertige spezialisierte Versorgung in der Fläche sichergestellt werden. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, hoher Investitionssummen in neue Untersuchungstechnologien sowie steigender Qualitätsanforderungen und Mindestuntersuchungszahlen ist dies ein nicht zu unterschätzender Aspekt.

Redaktion: Wie verändert die Vernetzung den Workflow in den radiologischen Abteilungen?

Prof. Tritt: Die entscheidende Stellschraube für den Erfolg dieser Entwicklung ist eine nahtlose Vernetzung ohne Informations- und Reibungsverluste zwischen den beteiligten Kliniken und MVZs. Dies erfordert einen integrierten Workflow, der Prozesse und Informationsflüsse zwischen den Einrichtungen effizient koordiniert sowie beispielsweise die Auslastung von Geräten und Personal steuert. Dabei spielt die Digitalisierung eine wichtige Rolle, aber auch andere Faktoren wie einheitliche Untersuchungs- und Qualitätsstandards.

Redaktion: Wie gelingt es Ihnen ganz praktisch, so viele unterschiedliche Radiologie-Standorte unter einen Hut zu bekommen?

Prof. Tritt: Die Stärkung der lokalen Kompetenz ist wichtig. Jeder Standort soll seine Expertise und Spezialisierung beibehalten und weiterentwickeln. Dies gewährleistet, dass die Patienten an jedem Standort die bestmögliche Versorgung erhalten. Gleichzeitig gilt es aber auch, standortübergreifende Aufgaben zu bündeln und Synergien zu nutzen, wo dies Sinn macht, z. B. im Bereich einheitlicher Standards bei Qualität, Prozessen und Strahlenschutz sowie IT-Systemen. Eine übergeordnete fachliche und operative Leitung mit regional aufgeteilten Zuständigkeiten koordiniert zwischen unseren Standorten und erleichtert die fachliche und organisatorische Zusammenarbeit. Natürlich spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Persönliche Gespräche sind wichtig, aber auch der Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen sowie regelmäßige konzernweite Präsenzveranstaltungen zum gemeinsamen Austausch.

Redaktion: Wo liegen besondere Herausforderungen bei der Vernetzung?

Prof. Tritt: In der Radiologie sind Untersuchungskapazitäten ein zentrales Thema. Vernetzte Strukturen erfordern effiziente Koordination, vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten und eine gewisse Bereitschaft zur Flexibilität. Dies gilt standort- oder sektorenübergreifend umso mehr – ein klassisches Thema für Kliniken mit Praxiskooperationen. Aus fachlicher Sicht ist es zudem wichtig, dass die radiologischen Versorgungsschwerpunkte mit den klinischen Schwerpunkten im Einklang stehen. Nur dann können die Patienten, die in der Klinik behandelt werden, in vollem Umfang von kurzen Wegen und abgestimmten Behandlungspfaden profitieren. Gerade bei hochspezialisierten Untersuchungen sind vernetzte Strukturen und gebündelte Fachkompetenz ein enormer Vorteil für die Patienten.

Redaktion: Welche Rolle spielt die Teleradiologie?

Prof. Tritt: Sie ist ein Treiber für Vernetzung und Spezialisierung, denn sie ermöglicht ja nicht nur den Austausch zwischen verschiedenen Standorten, sondern auch zwischen stationären und ambulanten Einrichtungen. Dies erlaubt eine bessere Zusammenarbeit und schafft mehr Flexibilität sowie eine bessere, standortunabhängige Nutzung von personellen Kapazitäten und fachlicher Expertise. Bei Helios haben wir das Ziel, auf einer einheitlichen innovativen Plattform umfassende teleradiologische Leistungen flächendeckend für alle Standorte zu ermöglichen. Richtig interessant wird es, wenn man eine integrierte Sichtweise einnimmt und sich mit Kooperationsmodellen, Prozessen und Strukturen beschäftigt. Dann geht es auch um Aspekte wie attraktive, flexible und individuelle Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle für Ärzte und nichtärztliche Mitarbeiter, um optimierte Personalauslastung mit verbesserter Lastverteilung zwischen Standorten und Leistungserbringern sowie um nahtlos integrierte Patientenpfade. Konsequent zu Ende gedacht kann dies durchaus zu einem echten Gamechanger für Radiologien werden. Allerdings sind die rechtlichen Hürden für teleradiologische Lösungen im Krankenhaus noch sehr hoch.

Redaktion: Wie werden diese Leistungen vergütet?

Prof. Tritt: Die Vergütung von teleradiologischen Leistungen erfolgt allgemein im Rahmen der üblichen Regelungen und Abrechnungsmodalitäten. Zwischen den beteiligten Einrichtungen werden spezifische vertragliche Vereinbarungen für die Erbringung der Dienstleistung getroffen. In der Regel ist dies ein mengenabhängiges Pay-for-performance-Modell. Diese Vereinbarungen können individuell gestaltet werden und variieren je nach Art und Umfang der erbrachten Leistungen.

Redaktion: Sehen Sie in Zukunft auch die Möglichkeit, dass Patienten sich über Smart Devices selbst untersuchen, z. B. mithilfe eines Ultraschallkopfes am Smartphone?

Prof. Tritt: Bereits heute gibt es Ultraschallgeräte, die mit Smartphones kompatibel sind und für verschiedene Anwendungen wie Herz-, Bauch-, Fetal- und Beckenuntersuchungen entwickelt wurden. Diese Geräte wurden in der Regel jedoch für Point-of-Care Untersuchungen konzipiert, also für den Einsatz durch medizinisches Fachpersonal. Sie ermöglichen zwar Selbstuntersuchungen, diese können aber nicht als Ersatz für eine professionelle medizinische Untersuchung dienen.

Redaktion: Wie bewerten Sie diese Entwicklung der Selbstuntersuchung?

Prof. Tritt: Auf der einen Seite ist dies eine spannende Entwicklung mit Potenzial, auf der anderen Seite ist gerade im Bereich der Diagnostik eine differenzierte Betrachtung notwendig. „Dr. Google“ ist heute schon sehr präsent und Anwendungen wie Pulsuhren, Schrittzähler, Apps zum Schlafmonitoring oder smarte Blutzuckermessgeräte werden von vielen Patienten bereits selbstverständlich genutzt. Auch der Gaming-Charakter von Gesundheitsapps kann z. B. im Rahmen einer Therapie dazu beitragen, die Compliance von Patienten zu erhöhen. Allerdings gibt es Fallstricke. So muss sichergestellt werden, dass die Geräte richtig bedient und die Ergebnisse richtig interpretiert werden können. Zumindest im Bereich der bildgebenden Diagnostik gehe ich nicht davon aus, dass Selbstuntersuchungen in absehbarer Zeit eine wesentliche Rolle spielen werden.

Redaktion: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Bleibt Ihnen bei den vielen administrativen Aufgaben noch Zeit für die Forschung?

Prof. Tritt: Ich bin nicht nur Managerin, sondern in erster Linie Ärztin. Neben der Krankenversorgung spielen Forschung und Lehre und die Ausbildung von Studierenden und Mitarbeitenden eine große Rolle. Das ist mir wichtig und das mache ich mit Begeisterung. Es gibt verschiedene Projekte mit Partnern aus Wissenschaft und Praxis, unter anderem im Bereich Diagnostik und Anatomie, zu minimalinvasiven Behandlungsmethoden und zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung. Außerdem beteiligen wir uns an Multicenter-Studien.